Geschrieben am 25.01.2006 18:29 von Stefan
Hallo Leute,
Ich habe ein Verständnisproblem mit "positiven" Prüfungssymptomen: Damit meine ich Symptome, die während einer AMP notiert werden, aber keinen krankhaften oder bemerkenswerten Charakter haben, sondern schön und angenehm für den Prüfer sind, wie z.B. die Gemütssymptome Klarheit im Denken; Strukturiertheit; fühlt sich, als ob er nichts falsch gemacht habe; gesteigerte positve Aktivität usw.
Die Frage ist: Verschreibt man jetzt das betreffende Mittel homöopathisch, d.h., wenn sich der Patient so herrlich fühlt, wie in den positiven Symptomen beschrieben (wenn man überhaupt mal so einen Patienten zu Gesicht bekäme...), oder verschreibt man es allopapthisch, d.h. er hat die entgegengesetzen Symptome, und man möchte erreichen, dass er die positiven Prüfungssymptome bekommt. Das ist gegen die Lehre, und die Wirkung dürfte auch nicht lange anhalten, da es ja nur die Erstwirkung des Mittels darstellt.
Und wenn man es homöopathisch verschreibt, wird der Patient dann "negativ", d.h. unklar im Denken; unstrukturiet; fühlt sich, als habe er etwas falsch gemacht...?
Oder benutzt man diese positven Symptome, wenn der Patient vor der Erkrankung immer derart war; sozusagen als Symptom für ein Konstitutionsmittel.
Grüße, Stefan
In Antwort auf:
Hallo, Stefan,
ich nehme mal als Beispiel die Rubrik Singen, Singen an sich ist ja was Nettes und auch nicht krankhaft. Wenn du dir aber mal die Unterrubriken anguckst, wird es schon klar:
bei Schweiß, bei Fieber, nachts usw.
oder "fröhlich singen" nat-m (das Kummermittel ...)
wechselt mit Weinen, Zorn
unwillkürlich (Patient singt unbewußt oder gegen seinen Willen)
Singen wird also zum Symptom
- in einem auffälligen Zusammenhang
- und besonders wenn jemand erst seit Ausbruch einer Krankheit viel singt
Es kann auch als Symptom verwendet werden, wenn jemand schon immer besonders viel oder eigenartig oder in bestimmten Situationen gesungen hat oder wenn es ihm schon immer durch Singen besser oder schlechter ging usw.
Also auch bei chronischen Krankheiten oder vor Ausbruch chronischer Krankheiten.
Wenn einer öfter mal bei guter Laune oder in der Badewanne trällert oder Sänger werden will, gilt das allerdings
nicht ;-)
Verschreibung nach allopathischer Art, um einen Miesepeter also zum fröhlichen Singen zu bewegen, nee, da würde Hahnemann sich im Grab umdrehen.
Gehen tut das aber schon, wenn du einem ein Halbsimile verschreibst mit dem Symptom Singen im AMB, kommt es tatsächlich vor, daß derjenige eine Neigung zum Singen entwickelt (jedenfalls so lange wie die Gabe wirkt).
Wenn du homöopathisch korrekt verschreibst, nimmt die Arznei nur weg, was krankhaft/übertrieben an der Singerei ist. Tarentula wird also bewirken, daß der Kranke nicht mehr bis zur totalen Erschöpfung singt. Und zugleich entfernt die Arznei auch die ganze Krankheit,in deren Zusammenhang das Singen aufgetreten ist. Nat-m wird dem Kranken helfen, seinen Kummer zu verarbeiten und dadurch wird er auch die Singerei sein lassen.
Und dann gibt es noch eine Spielart: Du verordnest ein Mittel, und auf einmal entwickelt der Kranke tatsächlich einen Hass auf Singen. Wenn das Mittel keine Besserung der Hauptbeschwere gebracht hat, ist das für dich ein Hinweis auf das richtige Mittel. Oder das Mittel hat gut gewirkt aber sein Wirkungsbereich ist jetzt erschöpft, dann ist es ein Hinweis auf das Folgemittel.
Ein Text mit 14x sing...
Grüße, ilse
In Antwort auf:
Hallo Stefan,
jede "positive" Eigenschaft hat ja auch ihre Kehrseite, ihr "negatives" Spiegelbild oder anders ausgedrückt, ihren Schatten. Beides kommt naturgemäß bei den Prüfungen zum Vorschein, in welcher Form und wie ausgeprägt, hängt sicher auch von der Person der Prüfers ab. Und jeder Konstitutionstyp kann in kranker, unerlöster Form vorkommen, wo die negativen Erscheinungen hervorkommen und er deshalb behandlungsbedürftig ist, und in gesunder, erlöster Form, wo sich die (eigenlich gleichen) Anlagen positiv entfalten. Letzteres ist natürlich nicht behandlungsbedürftig.
Beispiel: Ein gesunder, ausgeglichener Nux-vomica-Typ wird extrem viel arbeiten und ehrgeizig sein, auch von seinen Mitarbeitern Leistung verlangen, aber weder sich selbst noch seine Mitarbeiter dabei kaputtmachen, sondern positiv motivieren und zu immer besseren Leistungen bringen. Du kannst ihn nicht homöopathisch zu einem lässigen Faulpelz machen, und das wäre ja auch sinnlos und von niemandem erwünscht. Die Homöopathie ist ja nicht dazu da, den Charakter zu ändern, sondern von der unerlösten, kranken, in die erlöste, gesunde Form zu bringen. Die Anlagen ändern sich dabei nicht. Ist derselbe Nux-vomica-Typ krank, wird sein Ehrgeiz nicht mehr positiv sein, sondern ihn zerfressen. Er wird seine Mitarbeiter nicht mehr fordern, sondern anbrüllen und demotivieren. Er wird ein Magengeschwür bekommen. Sein einst erfolgreicher Betrieb wird trotz/wegen seines (übertriebenen) Ehrgeizes und seiner krankmachenden Arbeitswut nicht mehr florieren, sondern möglicherweise zugrundegehen. Bei der Homöopathie geht es nun nicht darum, aus dem kranken Nux-Typ einen Menschen zu machen, der sich am wohlsten fühlt, wenn er den ganzen Tag in der Hängematte liegt und vor sich hin philosophiert (wie Sulphur), sondern, seine innere Balance wieder zu finden, wohl weiter ehrgeizig und erfolgreich zu sein, aber in gesundem und nicht in zerstörerischem Maß.
Auch die von Dir geschilderten Eigenschaften haben alle ihre Kehrseiten bzw. Schatten:
Klarheit im Denken, Strukturiertheit kann in Dogmatismus und Schematismus, mangelnde Kreativität umschlagen. Letzteres ist behandlungsbedürftig, ersteres nicht.
Gesteigerte positive Aktivität kann in Aktionismus und Hektik umschlagen, das Gefühl, nichts falsch gemacht zu haben, in einen Mangel an Selbstkritik und Bodenhaftung, die Fähigkeit, loszulassen und zu entspannen, in Faulheit, der positive Wunsch, die Dinge richtig zu machen, in krankhaften Perfektionismus und Kontrollzwang usw. usf.
Behandlungsbedürftig sind natürlich jeweils nur die negativen Züge, d.h. die Anlagen der Konstitution in ihrer unerlösten Form. Auch die positiven Seiten, die erlöste Seite derseben Konstitution, kommen aber naturgemäß bei einer AMP zum Vorschein.
Alle Eigenschaften haben ihre positiven und ihre negativen Seiten. Du kannst und sollst nicht versuchen, die Anlagen des Menschen, die seine Konstitution bestimmen, im Sinne einer Charakterveränderung oder Gehirnwäsche zu verändern; das könnte auch gar nicht gelingen. Dazu ist die Homöopathie auch nicht da. Die Kunst des Homöopathen besteht darin, auch im Kranken, Unerlösten nicht fixiert auf den Mangel zu schauen, sondern die positiven Potentiale zu entdecken, die in diesem Konstitutionstyp, krankhaft verschüttet oder übertrieben pervertiert, schlummern und diese Potentiale, die sich natürlich auch in den Prüfungen zeigen, ins Postitive zu wenden. Dabei hilft die passende homöopathische Arznei.
Liebe Grüße,
Thomas
In Antwort auf:
Hallo Ilse und Thomas,
Danke für Eure Antworten. Das hat mir sehr geholfen.
Ich frage mich aber noch, was dann z.B. die Rubrik "Gemüt->Klarer Verstand" im Synthesis von der Rubrik "Gemüt->Dogmatisch" unterscheidet, außer dass sie andere Mittel enthält. Würde man dann "Klarer Verstand" nur heranziehen bei einer Person, die sonst immer "unklar" im Kopf ist? Oder vielleicht bei einem krankhaften Zustand von "zu klarem" Verstand, aber ich habe Probleme mir vorzustellen, wie man zu klar im Kopf sein kann, ohne dogmatisch, schematisch oder ideologisch zu sein... Es muss wohl mehr an der Auffälligkeit in Bezug auf die Person liegen als im Ausmaß der Klarheit; also ein für eine bestimmte Situation ungewöhnlich klarer Verstand (z.B. in einer Notsituation), oder ein Zustand klaren Verstandes eines ansonsten eher einfachen oder verwirrten Menschen.
Grüße, Stefan
In Antwort auf:
Thomas schrieb:
Hallo Stefan,
ich habe das Gefühl, daß Du in eine falsche Richtung denkst.
Du kannst doch durchaus (andere) krankhafte Symptome, die behandlungsbedürftig sind, bei einer Person haben, die über einen klaren, scharfen Verstand verfügt. Letzteres Gemütssymptom kannst Du aber gut zur Repertorisieren verwenden, besonders, weil es ungewöhnlich (Organon § 153) ist; denn die wenigsten Menschen verfügen bekanntlich über eine klaren, scharfen Verstand;-))) Das Gegenteil ist die Regel.
Natürlich ist es dann nicht der klare Verstand, der behandlungsbedürftig ist, sondern möglicherweise der Durchfall, die Hämorrhoiden, die Rückenschmerzen oder die Lungenentzündung dieser verstandesklaren Person.
In Antwort auf:
Oder eben tatsächlich in einer akuten Situation: Im Fieber z. B., wenn andere delirieren ...
Grüße, ilse